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02.05.2021 Kategorie: Glaube im Alltag

Sing dem Herrn ein neues Lied!

#sonntagswort - Kantate

„Sing dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder. (Psalm 98,1)

Wir bitten Sie, sich die Hände zu desinfizieren, eine medizinische Mund-Nasen-Bedeckung ist Pflicht im Gottesdienstraum und auf dem gesamten Gelände. Bitte halten Sie Abstand, dokumentieren Sie Ihre Anwesenheit, Gemeindegesang ist gesetzlich untersagt!

Das ist ein Auszug aus den Handlungsempfehlungen des Landeskirchenamtes. 

Man möchte schreien! Aber vermutlich ist das auch nicht wirklich zulässig – jedenfalls nicht im Gottesdienstraum. Und besser auch nicht auf dem gesamten Gelände. Also schweigen wir am Sonntag Kantate, statt lauthals zu singen. Alles ist geprägt von nackten Inzidenzzahlen. Dürfen wir? Oder dürfen wir nicht? 

Unser Raum hat sich verändert. Vieles ist mit Unsicherheit behaftet. Das merkt man in der Kirche vor allem auf den ersten Blick an den Abständen der Sitzmöglichkeiten. Komm, oder besser - sitz - mir nicht zu nahe! Irgendwie scheinen Räume auf merkwürdige Weise kontaminiert zu sein – auch die kirchlichen. Neben die bekannte Liturgie stellt sich eine Hygieneordnung. 

Wir bemerken auf den ersten Blick, wie verwundbar wir sind. Alles scheint gestört, stört die gewohnte Ordnung, das Vertraute.
Mir fehlt das gemeinsame Feiern, das beten, eine Predigt, die Musik und vor allem auch das Singen – richtig oder falsch, vollkommen egal. Ich vermisse die Gespräche, die Umarmungen. Das alles ist für mich Lebendigkeit. Und damit stehe ich sicher nicht alleine da. 

Aber bei allem, was ich vermisse, ist es irgendwie auch eine heilsame Unterbrechung. Ich nehme mir auf einmal mehr Zeit, mit Gott zu reden – statt anderen zuzuhören. Ich sehe das Licht, das die Kirche – meine Kirche – immer wieder in eine andere Stimmung rückt. Sehe die Engel an der Decke, die Fensterbänder zum Himmel, Christus über dem Altar. Ich zünde Kerzen an, ich lausche still der Musik, die es immer noch gibt. Und ich denke, irgendwie wäre es schade, wenn ich diese Zeit nicht hätte. Diese Zeit für mich und Gott. 

Ich sehe die Steine, die diese Kirche ausmachen und denke mir: was mögen sie schon alles gehört haben. Wie viele Menschen waren vor uns hier? Haben gehofft und gebetet aber auch voller Freude gefeiert. Hier wurden Kinder getauft, Hochzeiten gefeiert, konfirmiert und Menschen die letzte Ehre erwiesen. Diese Steine sind voller Stimmen. Voller Freud und Leid. Vielleicht könnten wir all das hören, wenn wir einmal still wären und still werden würden. 

Kirche ist ein Raum in dem ich innehalten und durchatmen kann. Und deshalb ist es wichtig, die Kirche offen zu halten. Und indem wir diese Räume offen halten ermöglichen wir eine ganz individuelle religiöse Praxis. Abstände ergeben sich von ganz allein – die Türen sind offen und einladend und weniger hermetisch auf den Gottesdienst bezogen. Zu Gast sein, verweilen im Vorbeigehen. Kirche ist umbaute Liturgie, die ich betreten kann.

Es gab Zeiten, in diesem letzten Jahr der Pandemie, in dem ich nur den Verlust gespürt habe, habe nur gesehen, was alles nicht geht, in dem ständig Pläne über den Haufen geworfen wurden. 
Doch das ist schon eine Weile nicht mehr so, und rückblickend war es ein Prozess gespickt mit vielen Fragen. Und wenn ich ehrlich bin, sind das Fragen, die ich mir nicht erst seit einem Jahr stelle. Wie sieht die Zukunft unserer Kirche aus bei sinkenden Finanzen und stark rückläufigen Gottesdienstbesuchen? 

Die Entwicklung in der Pandemie kann ich als Mangel sehen, oder als eine Entwicklung, die unabhängig von der Pandemie sowieso notwendig wäre. Es ist ein Prozess, der, so hoffe ich, dazu führt, dass die vielen Veränderungen in kirchlichen Räumen nachhaltig wirken. Das wir die neu entstandenen Gottesdienstformate auf Parkplätzen, vor Kirchen und im digitalen Raum nicht einfach wieder in der Versenkung verschwinden lassen. Die Pandemie hat vieles in Frage gestellt, aber auch ungeheuer viel in Bewegung gesetzt.

Und dennoch sehne ich mich nach einem Gottesdienst in Echtzeit. Doch ob ich dann wieder in Bankreihen sitzen möchte? Ob ich einfach wieder zu „normal“ zurückkehren möchte, schweigend zuhören, ohne Raum für meine eigenen Gedanken und meine eigenen Worte für Gott? Ob ich überhaupt mehr Raum brauche und den Himmel ein wenig offener? 
Ich bin sicher, dass die Frage bleiben wird: Welche Lieder möchte ich zukünftig singen? Am Sonntag Kantate, aber vor allem darüber hinaus! Ob Sie Gott gefallen werden? Das kann ich Ihnen nicht sagen. aber ehrlich? Das kann ich bei den alten Liedern auch nicht garantieren. 

Bild von Birgit Eilts

Beitrag von Birgit Eilts