Vor meiner Haustür ist es auf eine eigenwillige Weise geschmückt. Die letzten Herbstastern blühen noch im Topf, wehren sich noch. Am meiner Pergola ranken noch die vielen rosa Blüten der Dipladenie und vermitteln einen Hauch von Sommer mitten in Altweiberfäden und erstem Frost.
Ein letzter Kürbis noch vor der Haustür – aber schon die Lichterkette, die sich daneben einnistet. Manche Tage leuchten noch warm, aber es wird immer dunkler, die Tage kürzer. Die Ernte ist lange eingefahren.
Im Oktober haben wir die Äpfel eingesammelt und vor unserer Kirche zu Saft verarbeitet. MostWanted – und das alles mit der Sehnsucht auf Apfelglühwein, Kekse, Kerzen und den Weihnachtsmarkt hier in Querum. „Abgesagt!“
„Abgesagt“ ist vermutlich eines der meistgesprochen Worte die in diese dunkle Zeit gesprochen werden. Länger als jetzt sind die Nächte nie. Und doch sollten sie hell sein. Hell von Kerzenschein, Erwartung. Mitten in die Fastenzeit und dem heiligen Monat, der vorbereitet auf die Geburt Christi. Nikolaus, Barbarazweige, Weihnachten: So sollte es sein!
„Abgesagt!“ Das gilt für Weihnachtsfeiern, unbeschwerte Weihnachtseinkäufe, Glühwein, Kekse, Freunde und Familie.
„Abgesagt!“ hieß es, zwar aus ganz anderen Gründen, aber schon damals für Maria und Josef. Da war nichts mit Füße hochlegen und Freude auf die Geburt. In Ruhe das Kinderzimmer einrichten, noch letzte Dinge erledigen. Ruhige Geburtsvorbereitung war abgesagt! Angesagt war packen, planen um sich auf den Weg zu machen von Nazareth nach Bethlehem – und das alles wegen einer Volkszählung. Das war angesagt!
Und was ist bei uns angesagt? Ich glaube, da kommt vieles zusammen. Positives wie negatives. Ergreifendes und Amüsantes. Lustiges und Erschreckendes. Einsamkeit neben neu entdecktem Familienleben.
Wir halten Abstand und tragen Masken, die langsam Kultcharakter haben. Punkte, Streifen – das ist fast schon out. Nikolaus, Rentier und Glitzer sind angesagt. Dennoch zwingen sie uns, das Gesicht neu zu lesen. Stirnfalten, Augenaufschlag, Nicken. Das Bild Gottes ist verhüllt, nannte es jemand. Eine Studie hat ergeben, dass Gesichtsmasken es quasi unmöglich machen, Emotionen des Gegenübers richtig zu deuten. Das ist nicht zu unterschätzen, denn Menschen haben seit jeher das Bedürfnis, ihre Gefühle zu transportieren – und vor allem zu lesen. Deshalb erfand man vermutlich Emojis, um unsere Kurznachrichten anzureichern.
Und indem ich andere schütze entziehe ich ihnen gleichzeitig meine Emotionalität. Das macht Nächstenliebe nicht gerade einfach.
Masken machen uns irgendwie einheitlich – zumindest im Gesicht. Wir scheinen äußerlich gleicher zu werden. Aber die Pandemie macht nicht alles gleicher.
Was für den einen erträglich ist, ist für den anderen unerträglich. Das Virus geht an dem einen vorbei und wird für den anderen zur Tragödie.
Hier sterben die Menschen in Krankenhausbetten, in anderen Ländern, von denen wir nur wenig hören, gibt es Massengräber.
Die Pandemie wirft existentielle Fragen auf. Die Zeit ist unbestimmt und macht Angst.
Und dennoch sehnen wir uns nach Normalität. Aber was ist schon normal?
Wir entdecken Medien neu. Haben den telefonischen Besuchsdienst in unserer Gemeinde installiert. Andachten im Internet, Briefe an Gemeindeglieder mit Grüßen, Andachtsimpulse, Sonntagsworte, Päckchen, liebevoll gepackt für die Seniorenheime und Actionbound. Neue Worte und neue Ideen machen sich breit.
Am 1. Advent starten wir auch die Aktion „Brot für die Welt“ mit dem Verkauf von Apfelsaft aus der Erntedankaktion und „St. Lukas Apelgelee“ und dem Geschmack von adventlichen Gewürzen.
Auf vielfältige Weise geschah und geschieht Verkündigung und Seelsorge auch außerhalb unserer Kirchenmauern. Vier Weihnachtsbäume schmücken unser Kirchengelände wie Adventskerzen und erhellen Stück für Stück die dunkle Zeit.
Angesagt ist, flexibel zu sein und die Zeit anders wahr zu nehmen. Auf sich selbst zurückgeworfen, auf wenige Besuche. Den Lichterglanz in der Stadt zu genießen ohne lautes Getöse. Auf leisen Sohlen durch die Straßen gehen und die Zuversicht nähren. Vielleicht auch Singen in den eigenen vier Wänden - mitten in die Nacht hinein. Paradiesäpfel auf den Tisch stellen und den Geruch langsam einatmen. Wünsche träumen und staunen.
Advent, eben einmal ganz anders.
Anm:
Und falls Sie gerne singen mit Hilfe von Instrumentalversionen: https://www.anderezeiten.de/adventssingen/. Die Noten haben die Musikerinnen und Musiker des Vereins Musikpiraten e.V. aufgeschrieben. Sie stellen Lieder, deren Copyright verjährt ist, kostenlos für alle zur Verfügung. Teilen und Kopieren erwünscht!